Buchbesprechung | Veröffentlicht in MIZ 3/17 | Geschrieben von Christoph Lammers

Rezension von Jacques de Saint Victor: Blasphemie

Geschichte eines „imaginären Verbrechens“

Jacques de Saint Victor: Blasphemie. Geschichte eines „imaginären Verbrechens“. Hamburger Edition, Hamburg 2017. 144 Seiten, gebunden, 20.- Euro, ISBN 978-3-86854-308-7

Es sind jetzt fast drei Jahre her, seitdem der Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo die Diskussion um die Blasphemie / Gotteslästerung hat wieder aufleben lassen. Nach anfänglicher Solidarität mit den Opfern kamen Argumentationen auf, dass die Verantwortung für die Anschläge nicht im Islam und auch nicht bei den Tätern, wohl aber bei den Opfern selbst zu suchen sei. Mit ihrer Islamkritik hätten die Satiriker_innen eine Gruppe von Menschen, die eh schon sozial benachteiligt sei, noch stärker an den Rand der Gesellschaft gedrückt. Diesen würde damit die Mög­lichkeit genommen, sozial und kulturell zu partizipieren.

So schräg diese identitäre Argumen­tation auch war, sie trug Früchte und warf eine Vielzahl an Fragen auf. Wie weit darf Satire gehen? Gibt es eine Grenze, wenn es um religiöse Inhalte geht? Muss zwischen den beiden christlichen Kirchen und dem Islam unterschieden werden? Schüren islamkritische Karikaturen den Hass auf sozial Schwache?

Die Auseinandersetzung um die Fragen wurde und wird mitunter hart und unerbittlich geführt. Die Verfechter eines „Rechtes auf Blasphemie“ gerieten dabei zunehmend in die Defensive. Dies geschah, weil viele so genannte linke Intellektuelle, aus Angst davor, in die rechte Ecke gestellt zu werden, die Errungenschaften der Aufklärung über Bord warfen und den universalistischen Anspruch der Aufklärung unter den Generalverdacht des Rassismus stellten.

Wie wenig diese Haltung mit einer emanzipatorischen Weltsicht zu tun 
hat, macht der französische Rechts­historiker und Politikwissen­schaft­ler Jacques de Saint Victor in seiner aktuellen Streitschrift Blasphemie deutlich: „Denjenigen helfen, denen man nicht zutraut, zwischen Ironie und Intoleranz zu unterscheiden: Wenn das keine neue Form eines sich selbst verkennenden Paternalismus ist ...“ De Saint Victor spürt in seinem Buch der Geschichte des, wie er es nennt, „imaginären Verbrechens“ (crime imaginaire) in Frankreich nach. Doch die Geschichte der Blasphemie ist nicht der eigentlich entscheidende Punkt. Im Mittelpunkt steht vielmehr der dahinter stehende 
Diskurs und wie sich dieser immer 
wieder verschiebt bzw. welche Akteure 
zu welchem Zweck bestimmte Argu­mentationslinien benutzen, um ihre (religiösen) Interessen durchzusetzen. 
De Saint Victor weist minutiös nach, wie sowohl Islamverbände als auch rechts-katholische Gruppen und Personen im Fahrwasser der vermeintlichen Soli­darität mit den Marginalisierten der Gesellschaft darum bemüht sind, Kunst und Presse zu unterwerfen.

Für de Saint Victor steht fest, dass es für keine Religionsgemeinschaft, und damit auch nicht für den Islam, ein Sonderrecht auf Unversehrtheit geben kann. Ganz im Gegenteil. Eine liberale und aufgeklärte Gesellschaft zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie das hohe Gut der Blasphemie verteidigt und so den Unterschied zwischen Recht und Religion aufrechterhält.