Buchbesprechung | Veröffentlicht in MIZ 3/14 | Geschrieben von Siegfried R. Krebs

Rezension von Lena Naumann: Mariam geht fort

Erzählung

Lena Naumann: Mariam geht fort. Erzählung. Gryphon, München 2014. 148 Seiten, Klappen­broschur, Euro 12,80. ISBN 978-3-9815426-1-5

Simon Petrus sprach zu ihnen: „Mariam soll von uns weggehen! Denn Frauen sind des Lebens nicht würdig.“ Jeschua sprach: „Seht, ich werde sie erziehen, um sie männlich zu machen (...) denn jede Frau, die sich männlich macht, wird in das Reich der Himmel eintreten.“ Der Vers 114 des Thomas-Evangeliums war es, der Lena Naumann zum Schreiben veranlaßte. Als die Autorin auf dieses Zitat stieß, war sie zunächst schockiert ob der überaus deutlichen Frauenfeindlichkeit der christlichen Kirche, speziell des Katholizismus.

Dann aber ging sie an die Recher­chearbeit und verarbeitete ihre Quellenstudien zu einer Erzählung im Stil eines Evangeliums, allerdings geschrieben aus religionskritischer und humanistischer Perspektive. Lena Naumann entrümpelte dabei den Ursprungsmythos des „christlichen Abendlandes“ von allem Magischen und stellte ihn mit literarischen Mitteln auf eine psychologische und naturwissenschaftliche Grundlage. Aber nicht nur darum geht es der Autorin. Sie wendet sich bezugnehmend auf die Frauenfeindlichkeit z. B. des Apostels Simon Petrus eingehend den inneren Entstehungsbedingungen für Doppel­moral und sexuellen Mißbrauch innerhalb christlicher Kirchen zu:

Mariam, die hochgebildete Tochter eines reichen Kaufmanns aus Magdala, verläßt das Haus ihres Vaters und schließt sich dem Wanderprediger Jeschua an. Sie ist aber nicht die einzige Frau in dessen Jüngerschar. Doch eine Gemeinsamkeit von männlichen und weiblichen Jüngern gibt es nicht. Gerade die meist analphabetischen Apostel, insbesondere Simon Petrus, bestehen auf Geschlechtertrennung. Lena Naumanns Geschichte über Mariam und Jeschua ist so nicht nur eine Erzählung über eine Liebe, die am Ende stärker ist als der Tod, sondern sie ist auch eine Erzählung über Patriarchat, Lüge und Machtgier. Hierfür steht überdeutlich Simon Petrus, der Fischer, der „Menschenfischer“.

Mariam geht fort, so hat Lena Nau­mann ihre Erzählung genannt. Warum sie fortgeht, wohin und mit wem, das ist das Spannende. Denn die Autorin stellt ja nicht nur einige Ereignisse anders dar als in den kanonisierten Evangelien, sie findet vielmehr für die diversen Jesus-Wunder verblüffend einfache und in sich logische Erklärungen, ja sogar eine für die Auferstehung. Dieses „Evangelium“ berichtet daher nicht bloß, sondern es beinhaltet auch Reflexionen der fiktiven Ich-Erzählerin.

Herausgekommen ist eine vorzügliche Religions- und Kirchenkritik; eine tiefgründige Betrachtung, die mit leichter Hand geschrieben ist. Und obwohl vor 2000 Jahren angesiedelt, so ist Lena Naumanns Buch zeitlos, denn religiöse Eiferer, Heilsbringer-Propheten und machtgierige Priesterkasten sind bis auf den heutigen Tag nicht ausgestorben.