Buchbesprechung | Veröffentlicht in MIZ 2/16 | Geschrieben von Siegfried R. Krebs

Rezension von Cancik / Groschopp / Wolf (Hrsg.): Humanismus: Grundbegriffe.

Hubert Cancik / Horst Groschopp / Frieder Otto Wolf (Hrsg.): Humanismus: Grundbegriffe. Berlin 2016. De Gruyter; 436 Seiten, gebunden, Euro 149,95 Euro. ISBN 978-3-11-047136-6

„Humanismus“ ist eine kulturelle Be­wegung, ein Bildungsprogramm, eine 
Epoche, eine Tradition, eine Weltan­schauung, eine Form von praktischer 
Philosophie, eine politische Grund­haltung, welche für die Durchsetzung der Menschenrechte und für huma­nitäre Praxis eintritt – auf diese prägnante Kurzformel bringen die drei Herausgeber den Begriff, den Gegenstand ihres Forschens. Im nun vorliegenden Kompendium geht es daher um die wesentlichen Grundbegriffe dieses Humanismus.

Die Publikation ist in einen knappen systematischen Teil und in einen 
alphabetischen Teil untergliedert. Der erste Teil enthält kurz gefaßte Grundsatz-Artikel von Hubert Cancik (Humanismus), Frieder Otto Wolf (Humanität; Humanistik), Horst 
Groschopp (Humanismus als Kultur), 
Heinz-Bernhard Wohlfahrth (Humanitarismus) und Jörn Rüsen (Interkul­tureller Humanismus).

Der alphabetische Teil versam­melt ebenso kurze wie prägnante 
Artikel zu insgesamt 38 Grund­begriffen: Von Anthropologie, Antike, Arbeit und Aufklärung über Feier/Fest, Freidenkerbewegung, Glück und Humanitäre Praxis bis hin zu Menschenrechte/Menschenwürde, Religionsfreiheit/Toleranz, Seelsorge, 
Weltanschauung/Weltanschauungs­gemeinschaften und Zweifel. Diese einfachen und allgemeinen Begriffe werden in ihrem Zusammenhang erfaßt und wollen deren Nutzen für die Erkenntnis gegenwärtiger Probleme in Medizin, Ethik, Ökonomie, Recht und Politik aufzeigen.

Das Kompendium, das betonen die Herausgeber, kann kein „Lehrbuch“ ersetzen und erst recht keine „Enzy­klopädie des Humanismus“. Es erhebt auch nicht den Anspruch auf Voll­ständigkeit, denn der „Humanismus ist ein offenes System“ (Hubert Cancik).

Im Autorenverzeichnis sind vier Frauen und 15 Männer aufgelistet; fast alle westsozialisiert, nur einzelne ostdeutsch (Horst Groschopp) oder bereits gesamtdeutsch (wie Sven O. Rücker, Marie Schubenz oder Juliane Spitta). 21 der 38 Stichwort-Artikel stammen aus der Feder von Hubert Cancik und Horst Groschopp (je sechs), Frieder Otto Wolf (fünf) und Thomas Heinrichs (vier). Eric Hilgendorf und Ralf Schöppner haben je zwei Artikel beigesteuert.

Die einzelnen Stichwort-Artikel gliedern sich im wesentlichen in Abschnitte über Begriffsbestimmung, geschichtliche Entwicklungen, Zusammenhänge, Bedeutung für den modernen und praktischen Humanismus sowie eine Auflistung weiterführender Literatur.

Erfreulich ist, daß die Autoren zwar hauptsächlich von der griechisch-römischen Antike und der europäischen Aufklärung ausgehen, aber dennoch versuchen, den landläufigen Eurozentrismus zu überwinden. So weit hierzulande schon bekannt, gehen sie auch auf uralte humanistische Ansätze im außereuropäischen Raum ein. Viele Begriffe werden so vom Kopf auf die Füße gestellt, wenn nachgewiesen wird, daß angeblich originär christliche Begriffe wie „Barmherzigkeit“ oder „Nächstenliebe“ nicht nur vorchristlichen Ursprungs sind, sondern sogar universeller Art. Sehr beispielhaft kommt das im exzellent geschriebenen Stichwort „Seelsorge“ von Ralf Schöppner zum Ausdruck.

Besonders hervorheben möchte der 
Rezensent außerdem nur diese Stich
wort-Artikel: „Freidenkerbewegung“, Humanitäre Praxis“ und „Weltanschau­ung/Weltanschauungsgemeinschaften“ von Horst Groschopp, „Menschenrecht/Menschenwürde“ (Eric Hilgendorf), „Religionsfreiheit/Toleranz“ (Hubert Cancik), „Religionskritik“ (Hildegard Cancik-Lindemaier), „Säkularisierung“ (Walter Jaeschke), „Solidarität“ (Marie Schubenz) oder „Sozialstaat“ (Thomas Heinrichs).

Teilweise peinlich sind dagegen die Beiträge von Jörn Rüsen: „Interkultureller Humanismus“ (Systemati­scher Teil; wenn er da inhumane gesell
schaftliche und politische Verhältnisse allein dem Islam zuschreibt und darüber den weltweiten Kolonialismus des christlichen Europa/Nordamerika „vergißt“) und mehr noch „Geschichte“ im alphabetischen Teil, wo er „dem Marxismus“ grenzenlose Massenmorde andichtet.

Dennoch fällt erfreulicherweise auf, 
daß sich die Autoren ansonsten positiv auf Marx beziehen, was im heutigen Wissenschaftsbereich leider eher die Ausnahme darstellt. Anderer
seits werden aber fast ausnahmslos 
ahistorische Mainstream-Begriffe wie 
„Nationalsozialismus/Nationalsozia­listen“, wenn es um das Deutsche Reich zwischen 1933 und 1945 geht, unkritisch und auch ohne Anführungszeichen gebraucht. Der deutsche Faschismus war aber keinesfalls national, sondern nationalistisch/völkisch. Und er war vor allem alles andere als sozialistisch.

Das große Manko dieses inhaltlich wertvollen Buches ist jedoch sein Verkaufspreis. Wer will, wer kann überhaupt den horrenden Betrag von 149,95 Euro aufbringen? Der Verbreitung humanistischen Grundwissens jedenfalls ist ein solcher Preis alles andere als förderlich.