Neulich | Veröffentlicht in MIZ 1/20 | Geschrieben von Daniela Wakonigg

Neulich …

... bei der heiligen Corona

Die Welt ist im Ausnahmezustand. Dank des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2. Und wie immer, wenn Menschen verunsichert sind, wittern religiöse Goldgräber Morgenluft. Wie alle Scharlatane, die etwas auf sich halten, haben sie für jedes Wehwehchen das passende Kraut in ihrer Apotheke. In diesem Fall die heilige Corona. Eigentlich ist diese unbekannte Nebenheilige die Patronin des Geldes, der Fleischer und der Schatzgräber. Doch da sie irgendwo in Österreich bei Viehseuchen angebetet wurde, gilt sie nun auch als gebetstechnische Ansprechheilige für Seuchenfragen.

Doch ich will nicht klagen. Die meisten Religionsgemeinschaften haben weltweit recht besonnen auf die Corona-Pandemie reagiert. So besonnen, dass sie damit zeigten, dass die moderne Wissenschaft wesentlich vertrauenswürdiger ist als die eigenen magischen Riten.

Auf Empfehlung von Virologie­kundigen leerten katholische Kirchen beispielsweise ihre Weihwasserbecken an den Kirchentüren und dokumentierten damit nachdrücklich, dass Weihwasser zwar die Macht hat, bei Exorzismen den Teufel auszutreiben, dass das gesegnete Gewässer jedoch vor einem Virus schlapp macht. Noch deutlicher das Signal des Wallfahrtsortes Lourdes. Dort schloss man vorsorglich die Becken mit dem angeblich wundertätigen Wasser. Unter normalen Umständen geht man im französischen Marien-Disneyland für gläubige Katholiken zwar davon aus, dass das Wunderwasser Lahme heilen und Blinde sehend machen kann, in Zeiten von Corona jedoch vertraut man lieber auf die Wissenschaft und schließt die Virenschleuderbecken. Marketingtechnisch ein gewagter Schritt, da er nicht gerade davon zeugt, dass man in Lourdes von der heil- und wundersamen Wirkung des eigenen Produkts sonderlich überzeugt ist.

Corona hat Gläubige und Reli­gionsfunktionäre tatsächlich in ein entsetzliches Dilemma gestürzt: Hat Gott an seinen heiligen Stätten nicht einmal die Kraft, ein kleines Virus zu besiegen? Ein Dilemma, das nicht nur Christen betrifft. Auch die heiligen Stätten der Muslime in Mekka und Medina haben dicht gemacht, selbst der Zugang zur Klagemauer, dem höchsten religiösen Ort der Juden, ist auf wenige Personen limitiert – und geküsst werden darf sie auch nicht mehr. Dass man nicht an die Macht des eigenen Gottes im Kampf gegen Corona glaubt, liegt deutlich auf der Hand. Doch zugeben will man das auf keinen Fall. Auf Teufel komm raus wird am löchrig gewordenen Glauben festgehalten. Kaum ein Bild symbolisiert dies stärker als das Anti-Corona-Gebet von Papst Franziskus auf dem aus Seuchenschutzgründen menschenleeren Petersplatz.

Doch es gibt auch noch aufrechte Gläubige. Jene, die sich von wissen­schaftlichen Empfehlungen nicht in ihrem Glauben beirren lassen. Evange­likale und religiöse Fun­da­men­ta­lis­ten, die staatliche Beschränkungen ignorieren und weiterhin ihre Gottesdienste feiern. Virenschleudereffekt inklusive.