Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 1/20 | Geschrieben von Redaktion MIZ

Ein Kreuz auf dem Humboldtforum

Die Tageszeitung (taz) nannte es einmal das „vermeintlich größte Vorzeigekulturanliegen der Bundesrepublik“: das Humboldtforum im Berliner Schloss. Auf ein Projekt von solcher Bedeutung sind viele Augen gerichtet, es wird auch international zur Kenntnis genommen und es wird das Stadtbild in Berlin Mitte mitprägen. Folglich ist die bauliche Gestaltung keine architektonische Angelegenheit – jedenfalls nicht nur. Der Bau und die vorher­gehenden Debatten verraten etwas über die in der Republik vorherrschenden kulturpolitischen Vorstellungen.

Der Ort mitten in Berlin ist symbolträchtig. Seit dem 15. Jahrhundert stand hier das Schloss der Hohenzollern. Im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, wurde es 1950 auf Beschluss eines SED-Parteitages hin abgerissen („es soll uns nichts mehr an unrühmlich Vergangenes erinnern“). 1976 entstand auf einem Teil des Geländes der Palast der Republik. Dieser war nicht nur Sitz der DDR-Volkskammer, sondern bot auch zahlreichen Kultureinrichtungen Raum und lehnte sich insofern an „Volkhaus“-Konzepte der sozialistischen Arbeiter
bewegung an. Als sich 1990 herausstellte, dass der Palast der Republik mit Asbest belastet war, wurde er geschlossen, nach einer Asbsetsanierung dann aber über Jahre von der Berliner Kulturszene genutzt. Zeitgleich entbrannte eine Debatte, welcher Bau zukünftig an dieser Stelle stehen solle.

Letztlich setzte sich das Schloss der Feudalherren gegen das Volkshaus durch: 2003 beschloss der Bundestag den Abriss des Gebäudes, nachdem sich eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten bereits im Jahr zuvor für die Wiedererrichtung des Stadt­schlosses ausgesprochen hatten. Allerdings sah der Entwurf von Franco Stella, der letztlich das Rennen machte, nur vor, drei der Fassaden originalgetreu zu rekon­struieren. Das Bauwerk dahinter soll das Humboldtforum beherbergen und die außereuropäischen Samm­lun­gen der Stiftung Preußischer Kultur­besitz 
präsentieren. Dafür muss es modernen Ansprüchen an Museen und Ver­anstaltungszentren genügen. Die Gestaltung der weithin sichtbaren Kuppel war in Stellas Entwurf ohne das fünf Meter hohe Kuppelkreuz vorgesehen; es gab dafür auch keinen Etat. Als bekannt wurde, dass – ermöglicht durch eine private Spende in Millionenhöhe – das Kreuz doch aufgesetzt werden sollte, entbrannte im Frühsommer 2017 eine Diskussion darüber.

Die Kritik am Kuppelkreuz folgte zwei Argumentationen. Zum einen wurde grundsätzlich ins Feld geführt, dass das Humboldtforum ein säkulares Gebäude sei, dessen Bild nicht vom Symbol einer Religion geprägt werden sollte. Auf größere Resonanz stieß jedoch ein Einwand, mit dem die Stiftung Zukunft Berlin die Debatte eröffnet hatte: Ein Kreuz auf dem Dach klinge „nach 19. Jahrhundert und nach christlicher Leitkultur“. Und das passe nicht zum Konzept des Humboldtforums, die Kulturen der Welt „ohne Hierarchisierung“ zu präsentieren. Denn 
die Berliner ethnologische Sammlung steht (wie jedes „Völkerkundemuseum“) unter dem Druck, sich mit den Rahmen­bedin­gungen ihrer Entstehung in Zeiten des Kolonialismus auseinanderzusetzen. Auch nach dem Selbstverständnis des Humboldtforums ist dazu ein Dialog der Kulturen auf Augenhöhe notwendig. Den sahen Kritiker_innen wie der Berliner Kultursenator Klaus Lederer oder die Fraktionschefin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Antje Kapek, beeinträchtigt, wenn er quasi „unterm Kreuz“ stattfinde.

Die Stiftung Humboldtforum versuchte zunächst, die Frage zu entpolitisieren, und zog sich auf eine formale Argumentation zurück: Die Fassade werde originalgetreu rekonstruiert, und in diesem Rahmen sei auch zu sehen, dass das Kreuz wieder aufgesetzt wird. In einem Zeitungsinterview meinte einer der Gründungsintendanten, der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, dass das jetzige Kreuz einen historischen Zustand bezeichne, der nicht mehr existiere. Damit sollte offenbar suggeriert werden, dass das Kreuz als beliebiges Bauelement verstanden werden müsse, das (bzw. dessen Anbringung) keine politische Bedeutung mehr habe. Kritiker konfrontierte Bredekamp mit dem Vorwurf der Bilderstürmerei: „Aus kunsthistorischer wie auch aus kulturgeschichtlicher Perspektive wäre es eine eigene Form von Ikonoklasmus, das Kreuz wegzulassen.“

Bei Kulturstaatsministerin Monika 
Grütters wird die konservative Stoß­richtung der baulichen Veränderung schon deutlicher. Die CDU-Politikerin, die von sich selbst sagt, dass sie ihre kulturpolitischen Grundüberzeugun­gen schlecht vermitteln könne, „wenn der Verweis auf die eigene christliche Prägung nicht inbegriffen wäre“, warb offen für das Kreuz als Zeichen des Christentums auf dem Humboldtforum. Sich der eigenen – in ihren Augen christlichen – Wurzeln bzw. Identität bewusst zu sein, sieht sie als Grundlage des Gesprächs mit „dem Anderen“. Damit das Kreuz dabei nicht stört, wird es als „Einladung zu Weltoffenheit und Toleranz, zu Nächstenliebe und Rücksichtnahme“ interpretiert.

Unverblümt erkennbar wird das rückwärtsgewandte Konzept in der Stellungnahme des Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime Ayman Mazyek. Dieser hatte erklärt, er könne sich nicht vorstellen, dass Besucher aus muslimischen Ländern sich vom Kuppelkreuz gestört fühlten. Kam das Statement für viele überraschend, ist es aus der Perspektive der religiösen Rechten konsequent. Im öffentlichen Raum soll religiöse Symbolik wieder sichtbar werden; dadurch wird die Bedeutung von Religion für unser Gemeinwesen sichtbar und wer erkennbar so wichtig ist, muss in gesellschaftlichen Debatten eine Stimme haben (am besten die als „Oberschiedsrichter“). Mazyeks Vorschlag, dem Vorwurf der „Hierarchisierung“ den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist denn auch bezeichnend: Es könne doch „ein Symbol (...), das alle drei abrahamitischen Reli­gionsgemeinschaften vereint“, angebracht werden. Das wäre dann, neben der baulichen Rekonstruktion, auch die 
Rückbesinnung auf die Aufklärung Les­sings, wie er sie in Nathan der Weise auf die Bühne bringt. Doch was damals fortschrittlich war, ist heute Ausdruck einer rückwärtsgewandten Politik.