Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 2/19 | Geschrieben von Redaktion MIZ

Kirchentage: Staatlich finanzierte Glaubensfeste

Die Geschichte der Kirchentage reicht in Deutschland zurück bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Erst seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg findet in Deutschland jedoch regelmäßig in jedem Jahr jeweils ein katholischer oder evangelischer Kirchentag statt – in ungeraden Jahren ein Evangelischer Kirchentag, in geraden Jahren ein Katholikentag und gelegentlich auch ein ökumenischer Kirchentag. Die Kirchentage werden in wechselnden deutschen Städten und Regionen veranstaltet.

Während der mehrtägigen Glaubens­feste gibt es gemeinsame Gebete und Bibelarbeit, Vorträge über Gott und die Welt, die industriemesseartige Präsentation von christlichen Organisationen sowie Konzerte. Der Eventcharakter der Kirchentage dient der Mitgliederbindung — vor allem junger Kirchenmitglieder, die als ehrenamtliche Helferinnen und Helfer eingesetzt werden. Umfragen zeigen, dass viele Kirchentagsbesucher ihrer Kirche nahe stehen und regelmäßig Kirchentage besuchen.

Träger von Katholikentagen sowie von Evangelischen Kirchentagen ist ein eigens für den jeweiligen Kirchentag gegründeter Trägerverein. Dieser Trägerverein bekommt jeweils für die Dauer von rund zwei Jahren eine eigene Geschäftsstelle in der Stadt, in der der jeweilige Kirchentag stattfindet, und kümmert sich um die Organisation, Programmplanung, Öf­fentlichkeitsarbeit, Spenden­einwer­bung etc. Hinter den Trägervereinen des jeweils speziellen Kirchentags steht bei den Katholikentagen das Zentralkomitee der deutschen Katho­liken (ZdK) und bei den evangelischen Kirchentagen der Verein zur Förderung des Deutschen Evangelischen Kirchen­tags e.V. Die Veranstalter beider Konfessionen betonen stets, dass Kirchentage nichts mit der Amtskirche zu tun hätten, sondern Veranstaltungen von christlichen Laien seien. Diesen Eindruck versucht man unter anderen durch diese verschachtelte Ver­einsstruktur herzustellen.

Grundsätzlich gilt hinsichtlich der Finanzierung der evangelischen und katholischen Kirchentage das sogenannte Prinzip der „Drittelfinanzierung“: Ungefähr ein Drittel der Finanzierung eines Kirchentags trägt das Bistum, in dem der Kirchentag stattfindet. Ein weiteres Drittel stammt aus den Eintrittskarten für den Kirchentag, aus Kirchen-Kollekten sowie aus sonstigen Spenden, die vom Trägerverein eingeworben werden. Das letzte Drittel stammt schließlich von der öffentlichen Hand, wobei die öffentlichen Gelder aus drei unterschiedlichen Quellen stammen: Der Stadt, in der der jeweilige Kirchentag stattfindet, dem Bundesland, in dem er stattfindet, sowie dem Bund. Der diesjährige 37. Deutsche Evangelische Kirchentag in Dortmund wurde beispielsweise mit mindestens 7,822 Millionen Euro an öffentlichen Fördermitteln gespon­sert, was 36 Prozent seines Gesamt­budgets entspricht. Das Prinzip der „Drittelfinanzierung“ ist jedoch nur eine grobe Richtlinie. Regelmäßig steigt der öffentliche Finanzierungsteil der Kirchentage über ein Drittel. Beim evangelischen Kirchentags-Event im Lutherjahr 2017 betrug die öffentliche Förderquote sogar über 50 Prozent.
Zur Rechtfertigung der öffentlichen Förderung werden im Wesentlichen drei Argumente benannt. Erstens hätten auf einem Kirchentag stattfindende Diskussionen gesamtgesellschaftliche Relevanz, zweitens handele es sich bei Kirchentagen nicht um Veranstaltungen der reichen Kirche, sondern der armen Laien, und drittens habe ein Kirchentag für die Stadt, in der er veranstaltet wird, wirtschaftlichen Nutzen. Alle drei Argumente müssen jedoch höchst kritisch betrachtet werden:

Bedeutsame gesellschaftliche Themen werden auf Kirchentagen stets aus christlicher Perspektive verhandelt, wodurch die Diskussionen für Anders- und Nichtgläubige uninteressant und irrelevant sind. Entsprechend zeigen Umfragen, dass über 90 Prozent der Besucher eines Kirchentags der christlichen Konfession des Veranstalters angehören. Eine gesamtgesellschaftliche Relevanz der Diskussionen während des Kirchentags ist daher nicht zu erkennen, allenfalls eine Relevanz innerhalb der jeweiligen christlichen Community. Sowohl bei der evangelischen als auch bei der katholischen Kirche ist diese Community jedoch bekanntlich stark im Schrumpfen begriffen. Entsprechend der sinkenden Mitgliederzahlen der beiden christlichen Großkirchen in Deutschland sinken übrigens auch die Besucherzahlen der Kirchentage.

Auch der behauptete Laiencharakter sowie eine wirkliche Unabhängigkeit der Kirchentage von der Amtskirche sind bei näherem Hinsehen nicht wirklich zu erkennen. Nicht nur werden Kirchentage zu einem Drittel vom jeweiligen Bistum finanziert und weitere Kollekten von der Amtskirche eingeworben, auch die Träger der Kirchentage sind weniger amtskirchenfern als behauptet. So wird beispielsweise das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, die offizielle Vereinigung deutscher katholischer Laien, zu 83,7 Prozent von der katholischen Kirche finanziert, genauer dem Verband der Diözesen Deutschlands. Auch kann im ZdK nicht jeder katholische Laie Mitglied werden. Seine rund 230 Mitglieder werden von den Diözesanräten oder der Arbeitsgemeinschaft katholischer Organisationen Deutschlands ins ZdK gewählt, also von Kirchenfunktionären und Kirchentreuen.

Selbst der zur Rechtfertigung öffentlicher Finanzierungen immer wieder herangezogene vermeintliche wirtschaftliche Nutzen eines Kirchentags für die Stadt, in der er veranstaltet wird, kann einer näheren Betrachtung nicht standhalten. Zwar profitieren Hotelerie und Gastronomie in einer Kirchentagsstadt, doch fließt nur ein Bruchteil der getätigten Einnahmen zurück in den Stadtsäckel, dem die öffentlichen Gelder zur Förderung des Kirchentags entstammen. Darüber hinaus kam eine Marktforschungsstudie zu den Geldflüssen beim evangelischen Kirchentag 2009 in Bremen, durchgeführt von der Hochschule Bremen, zu dem Ergebnis, dass ohnehin nur 7,6 Prozent der Teilnehmer des Kirchentags in Hotels schliefen. Die meisten übernachteten in Privat- oder Gemeinschaftsquartieren wie Turnhallen. Ferner zeigte die Studie, dass die Geschäfte in der Innenstadt während der Dauer des Kirchentags einen Umsatzrückgang von 40 Prozent hatten, da zum einen die Kirchentagsteilnehmer nicht zum Shoppen in die Stadt kamen und sich die Einheimischen zum anderen von den Menschenmassen des Kirchentags abgeschreckt fühlten und die Innenstadt mieden.