Prisma | Veröffentlicht in MIZ 1/14 | Geschrieben von Daniela Wakonigg

„Ich denke, also bin ich kein Christ“

Nachruf auf Karlheinz Deschner

Seit den 1960er Jahren galt Karlheinz Deschner als der deutsche Kirchenkritiker. Mit seiner zehnbändigen Kriminalgeschichte des Christentums hat er ein monumentales Standardwerk der kritischen Kirchengeschichte geschrieben.

Deschners Aussagen provozieren. In
Form und Inhalt. Einen „Streitschrift
steller“ nannte ihn Hermann Giesel­busch, Lektor der Kriminalgeschichte des Christentums beim Rowohlt Verlag. Einen „Oberteufel“ nannten ihn seine Gegner und warfen ihm vor, seine Bücher seien einseitig. Das sind sie zweifellos. Und Deschner hat daraus nie einen Hehl gemacht. Den unendlichen Regalmetern an Literatur mit blitzblank geputzter christlicher Heilsgeschichte zwischen den Buchdeckeln stellte er den Dreck und das Blut gegenüber, das er in akribischer Recherchearbeit aus den Fugen der Kirchengeschichte gekratzt hatte. Jene Machtspiele, Kriege und Unmenschlichkeiten im Namen des Herrn, die die heutige Kirche schon fast erfolgreich unter den Teppich gekehrt hätte, wenn es nicht den Spurensicherer Deschner gegeben hätte.

Seinen Aufstieg zum deutschen Kirchenkritiker par excellence hat wohl keiner weniger vorhergesehen als Deschner selbst. Denn eigentlich war die Literatur sein Steckenpferd und Broterwerb. Mit 27 Jahren promovierte Deschner über Lenaus Lyrik, schrieb in den 1950er Jahren zwei Romane und machte sich einen Namen als Literaturkritiker. Mit dem Christentum hatte er damals schon längst abgeschlossen. Aufgewachsen im katholischen Teil Frankens, erzogen von Franziskanern und Karmelitern, kam Deschner durch die Lektüre von Kant, Schopenhauer und Nietzsche als junger Mann zu dem Schluss: Es ist nichts dran am Gottglauben. Damals nichts weiter als eine private Erkenntnis, die im Beruflichen lange still blieb.

Eher nebenbei zwischen Romanen und Literaturkritik veröffentlichte
Deschner 1957 als Herausgeber das
Bändchen Was halten Sie vom Christen­tum?, in dem sich bekannte Autoren wie Heinrich Böll zu ihrer Weltanschauung äußerten. Deschner selbst äußerte sich in dem Buch nicht zu dem Thema, was ihm den Vorwurf der Feigheit einbrachte. Ein Vorwurf, den er mit einem Paukenschlag beantwortete:

Nach fünf Jahren akribischer Re­cherche veröffentlichte er 1962 sein erstes kirchenkritisches Buch Abermals krähte der Hahn – Eine kritische Kir­chengeschichte von den Anfängen bis zu
Pius XII. Ein Skandalbuch. Vor Deschner hatte es in Deutschland niemand gewagt, so deutlich die negativen Seiten der vermeintlich lupenreinen christlichen Heilsgeschichte aufzuzeigen. Während gläubige Christen und Kirchenvertreter empört waren, reagierten andere erleichtert, dass endlich jemand den Teufel beim Namen nannte.

Deschner erkannte, dass er mit Aber­mals krähte der Hahn in ein gesellschaftliches Wespennest gestochen hatte und stocherte in den folgenden Jahren und Jahrzehnten mit zahlreichen kirchen- und religionskritischen Büchern weiter in diesem Nest herum. Am ausführlichsten in seinem weltweit bisher einzigartigen Monumentalwerk Kriminalgeschichte des Christentums. In den 1970er Jahren ursprünglich als einbändige Ausgabe geplant, wuchs das Werk in vier Jahrzehnten auf zehn Bände an. Der zehnte und letzte Band erschien 2013, im 89. Lebensjahr Deschners. Rund 50 Bücher umfasst das beachtlich umfangreiche Lebenswerk Karlheinz Deschners insgesamt. Seine Antriebsfeder? „Schlicht die Tatsache, dass ich Unrecht nicht leiden kann, dito Heuchelei“, erklärte Deschner hierzu.

Unrecht und Heuchelei störten ihn nicht nur bei der Religion. Durch die Menge seiner religions- und kirchenkritischen Schriften wird oft übersehen, dass Deschner auch ein scharfer Gesellschaftskritiker war. Da er vergangene ebenso wie gegenwärtige Ereignisse stets aus der Sicht der Opfer betrachtete, verurteilte er soziale Ungerechtigkeit ebenso wie Militarismus und die allumfassende Gleichgültigkeit, in der Menschen sich ihr Leben zur allzu gerne einrichten.

Das Leid einiger spezieller Opfer der Menschheitsgeschichte lag ihm bei seiner Gesellschaftskritik besonders am Herzen, nämlich das der Tiere. Für den Vegetarier Deschner war es schier unerträglich, dass der Mensch um die Leidensfähigkeit der Tiere weiß und trotzdem keinerlei Skrupel hat, diese empfindungsfähigen Wesen täglich millionenfach in Schlachthäusern niederzumetzeln. Rückblickend auf sein Leben hat Deschner daher mehrfach betont, dass, könnte er noch einmal von vorne beginnen, er sich nicht primär mit dem Christentum beschäftigen würde, sondern mit diesem „schwärzesten aller Verbrechen“ der Menschheit: dem Umgang des Menschen mit dem Tier.
Karlheinz Deschner starb am 8. April 2014 nach langer Krankheit in seiner fränkischen Heimat Haßfurt – kurz vor seinem 90. Geburtstag.