Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 2/12 | Geschrieben von Matthias Krause

Gottlose Philippinen

Atheisten treffen sich im christlichsten Land der Welt

Die Philippinen gelten als das religiöseste Land der Welt: Über 90 Prozent der Bevölkerung sind Christen, etwa 80 Prozent Katholiken. Rund ein Viertel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Es handelt sich hier um einen Teufelskreis aus Armut und rasantem Bevölkerungswachstum, für den viele als Ursache auch den Katholizismus und den verbissenen Kampf 
der Katholischen Kirche gegen Sexualaufklärung und Verhütungs­mittel sehen. So leben auf den Philippinen mittlerweile auf einer Fläche, die deutlich kleiner ist als die von Deutschland, viel mehr Menschen: 92 Millionen. Der Anteil der Atheisten liegt unter einem Prozent.

Aber auch auf den Philippinen beginnen die Atheisten und Agnostiker, sich zu organisieren: Im Februar letzten Jahres entstand aus einer Facebook-Gruppe die Philippine Atheists and Agnostics Society (PATAS), deren erstes großes Vorhaben darin bestand, die erste atheistische Konferenz Südostasiens zu organisieren, die am 21. April im Bayview Park Hotel in Manila stattfand.

Zu diesem Zeitpunkt hatte PATAS bereits rund 2.000 Mitglieder, zur Tagung in Manila kamen 180 Teilnehmer. Beides sind beeindruckende Zahlen, wenn man sich vor Augen hält, dass z.B. der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) in Deutschland etwa 1.000 Mitglieder hat und zu der internationalen Tagung „Die Atheistische Perspektive“ in Köln im Mai etwa 200 Teilnehmer kamen. Die PATAS-Vorsitzende Marissa Torres Langseth, die in New York lebt und für die Tagung nach Manila kam, hatte ein Programm aus nationalen und internationalen Rednern zusammengestellt, mit Vertretern zahlreicher Organisationen wie der Atheist Alliance International (AAI), der International Humanist and Ethical Union (IHEU), der Freedom From Religion Foundation (FFRF, USA) oder den New York City Atheists (Tagungssprache war Englisch). Die Vorträge stellten eine Mischung aus motivierendem „Pep Talk“ (Warum sollten sich Atheisten überhaupt organisieren und wie?), Informationen über nationale und internationale Organisationen und speziellen Themen mit Bezug zu den Philippinen dar, die dem Anlass sehr gut gerecht wurde.

Aus dem Tagungsprogramm ging übrigens hervor, dass die PATAS-Gründer stark durch Richard Dawkins inspiriert wurden. („Unsere Werkzeuge sind Logik, kritisches Denken, Vernunft, wissenschaftliche Bücher und Richard Dawkins.“)

Schnell wurde deutlich, dass sich Atheisten auf den Philippinen speziellen Umständen gegenüber sehen. Einer davon ist, dass viele Filipinos mit dem Begriff „Atheist“ gar nichts anzufangen wissen und denken, es handele sich um irgendeine weitere Religion. Deshalb verwenden Atheisten dort auch den Begriff „gottlos“. Wer dies tut, muss allerdings mit sozialen Konsequenzen rechnen bis hin zu Schwierigkeiten, einen Job zu bekommen. Von Wahlchancen als Politiker ganz abgesehen.

Deshalb ist es auch so wichtig, dass sich Atheisten trotzdem „outen“ und zeigen: Wir sind gut ohne Gott. PATAS will Atheisten und Agnostikern eine Heimat bieten und ihnen auch öffentlich Gehör verschaffen.

Tanya Smith von der Atheist Alli­ance International (AAI) machte deutlich, dass Religion ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem darstellen kann, z.B. bei Themen wie Schwanger­schafts­verhütung, Ehescheidung, Abtreibung oder Blasphemiegesetzen. Die AAI sieht sich als eine „atheistische Beratungs­organisation“ die Gruppen in vielen Ländern unterstützt, wie z.B. Kenia, Pakistan oder Israel. Die AAI hat Mitglieder bzw. verbundene Organi­sationen in etwa 40 Ländern auf allen Kontinenten. Dadurch können sich Atheisten auch international solidarisch zeigen und Gleichgesinnte in anderen Ländern unterstützen. So wurde z.B. 2011 eine humanistische Grund­schule in Uganda eröffnet, bei der neben Spenden auch Patenschaften für einzelne SchülerInnen übernommen werden können. 2011 und 2012 half die AAI, jeweils vier Tagungen auf allen fünf Kontinenten auszurichten.

Roar Johnsen stellte die Interna­tional Humanist and Ethical Union (IHEU) vor. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von über 100 Organisationen aus über 40 Ländern, die sich für Humanismus und Säkularismus einsetzen, insbesondere auch für die Rechte von nichtreligiösen Menschen. Auch die IHEU unterstützt den Aufbau und die Entwicklung von humanistischen Organisationen und Projekten weltweit. Sie verfügt außerdem über eine Jugendorganisation, die International Humanist and Ethical Youth Organisation (IHEYO), die ebenfalls international aktiv ist, wie IHEYO-Vorstandsmitglied Sven Berg Ryen erklärte, ein junger IT-Experte aus Norwegen, der zur Zeit in Singapur lebt und dort den Aufbau einer lokalen Gruppe von Humanisten betreibt.

Bemerkenswert war, wie gleich zwei Redner aus den USA einen speziellen Bezug zu der Situation auf den Philippinen herstellten: Dan Barker von der Freedom From Religion Foundation (FFRF) und Jeremiah Camara, der sich in Büchern und Videos kritisch mit der religiösen Geschichte der Schwarzen in den USA auseinandersetzt. Wie die Indianer und später die versklavten Schwarzen in den USA haben nämlich auch die Filipinos die Religion ihrer Kolonialherren angenommen. (Auch die Bezeichnung „Philippinen“ bezieht sich auf Philipp II. von Spanien.) Während der Zeit der spanischen Kolonisation (ab 1565) war die katholische Kirche zugleich Staatskirche und das Land wurde de facto von spanischen Missionaren, also katholischen Mönchen und Priestern, verwaltet. Dafür gibt es sogar einen eigenen Begriff: „Frailocracy“ bzw. „Friarocracy“ – also die Herrschaft durch Mönche.

Dan Barker hat indianische Vor­fahren, in seinem Stamm wurde das christliche Kreuz sogar zum Stammessymbol gemacht. Barker machte deutlich, dass die Konvertierung der Indianer zum Christentum durchaus nicht friedlich erfolgte: „Wir mussten so tun, als wären wir zum Christentum übergetreten, und im Laufe der Zeit haben wir dann vergessen, dass wir nur so getan haben.“

Eine Erkenntnis, die auch Jeremiah Camara aufnahm: In Virginia z.B. habe es ein Gesetz gegeben, demzufolge Versklavte (Camara bezeichnete die Schwarzen nicht als „Sklaven“, sondern als „Versklavte“) die Religion der vorherrschenden Kultur anzunehmen hatten. Generell seien christliche Versklavte weniger hart bestraft worden, und ein einziger Ungläubiger habe es für alle schlimmer gemacht. Dies habe zu der von Dan Barker erwähnten Entwicklung geführt, dass die Schwarzen zunächst so getan hätten, als ob sie zum Christentum konvertiert seien. Natürlich war unter diesen Bedingungen das Misstrauen groß, ob es sich tatsächlich um „echte“ Bekehrungen handelte und nicht bloß um vorgetäuschte. Um diesen Verdacht zu entkräften, hätten die Schwarzen besonders intensiv Gott preisen müssen, was sich z.B. in der Gospel-Musik niedergeschlagen habe.

Red Tani stellte die im Februar 2009 gegründeten Filipino Freethinkers (FF) vor (Hervorgegangen aus einer Yahoo!-Gruppe). Die Freidenker verstehen sich — anders als PATAS — nicht ausdrücklich als Atheisten, sondern als Vertreter des rationalen Denkens, der Wissenschaft und des Säkularismus. Die bisherigen Aktivitäten der Freidenker richten sich vor allem gegen den Einfluss der katholischen Kirche auf die Gesellschaft, z.B. beim Thema Zensur von Kunst, vor allem aber in der politischen Auseinandersetzung um einen Gesetzentwurf zur „reproduktiven Gesundheit“ („RH Bill“), der u.a. verpflichtende Sexualaufklärung und die Sicherstellung der Verfügbarkeit von Empfängnisverhütungsmitteln auch für Arme vorsieht, um den Kreislauf aus rasantem Bevölkerungswachstum und Armut zu stoppen. Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung – und damit auch der Katholiken – für das Gesetz ist, leistet die Katholische Kirche erbitterten Widerstand, bei dem offenbar auch vor Lügen nicht zurückgeschreckt wird. Die Freidenker setzen in der Auseinandersetzung auf friedliche „Spaß-Aktionen“ wie z.B. eine „Exkommunikations-Party“, nachdem die philippinische Bischofskonferenz Politikern, die den Gesetzentwurf unterstützen, mit Exkommunikation gedroht hatte.

Als Andenken erhielten alle Teil­nehmer ein ganz spezielles Geschenk: Eine kleinen Anhänger, der – einem lokalen katholischen Brauch folgend – ein Jesuskind mit erigiertem Penis darstellt.