Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 2/19 | Geschrieben von Gunnar Schedel

Emanzipatorische Religionspolitik?

Eine Anfrage an Abgeordnete der Linken zeigt unterschiedliche Positionen innerhalb der Partei

Zu den Grundpositionen linker Parteien gehört in der Regel das Eintreten für die Trennung von Staat und Kirche sowie die individuelle Religionsfreiheit. Das war auch bei der Partei Die Linke bzw. deren Verläufern lange Jahre so. Seit jedoch Christine Buchholz den Posten der religionspolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion übernommen hat, gewinnen diejenigen an Boden, die die bestehende Verflechtung des Staates mit den Religionsgemeinschaften erhalten wollen und gesellschaftlichen Fortschritt blockieren. Deshalb hat der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) sich mit einem Brief an die Linken-Abgeordneten gewandt.

Ausgangspunkt der Einwände des IBKA war die von Christine Buchholz erhobene Forderung, den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts auf weitere Religionsgemeinschaften, insbesondere die konservativen Islam­verbände, auszuweiten. Mehrfach hatte sich die religionspolitische Spre­cherin auch für die Einführung eines Islamischen Religionsunterrichts ausgesprochen. In seinem Schreiben gibt der Atheisten-Verband zu bedenken, dass die Religionsfreiheit muslimischer Schulkinder (oder derjenigen, die vom Staat als solche eingestuft werden) dadurch eingeschränkt würde, da sie „unter Bekenntnis- und Konformitätsdruck“ gesetzt würden. „War es bisher ohne großen Aufwand möglich, Dissidenz oder Apostasie zu verbergen, ist ab dem Moment ein öffentlich sichtbares Bekenntnis gefordert. Wer das nicht will, muss in den Religionsunterricht gehen und seine tatsächlichen Ansichten verschweigen.“

Als Grundproblem benennt der IBKA den Körperschaftsstatus: „Denn das Modell, Religionsgemeinschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechts aufzufassen, bildet die gesellschaftlichen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts ab. Der korporatistische Ansatz befördert autoritäre Ordnungsvorstellungen und setzt Minderheiten und Dissidenten unter Legitimationszwang.“ In diesem Zusammenhang kritisiert der IBKA, dass auf Veranstaltungen der Linkspartei auch Stimmen ein Podium gegeben wird, die Kritik an gesellschaftlichen Vorstellungen der religiösen Rechten, sofern diese muslimisch begründet werden, als Rassismus zu denunzieren. Es sei falsch, laizistische Gesellschaftsmodelle als „Diskrimi­nie­rung“ religiöser Minderheiten darzustellen, denn tatsächlich würden sie „die Gleichheit der Individuen wie auch der zivilgesellschaftlichen Kräfte gewährleisten“.

Der Brief schließt mit der Hoffnung, die Linkspartei könne zu der Position zurückkehren, „dass Freiheit und Gleichheit für alle ein Projekt gesell­schaftlicher Veränderung ist und nicht durch Integration in die herrschenden Verhältnisse erreicht wer­den kann“ und der Forderung, die Bundestagsabgeordneten der Links­partei sollten einen Diskussions­pro­zess einleiten, „um zu klären, ob die Forderung nach einer Ausweitung des 
Körperschaftsstatus auf weitere Religionsgesellschaften gesellschaftlichen Fortschritt und individuelle Emanzipa­tion fördert oder nicht eher die Anliegen der religiösen Rechten bedient“.
Aus der Fraktion erhielt der IBKA 
drei Rückmeldungen auf seine Stel­lungnahme. Der bayerische Abgeord­nete Andreas Wagner dankte knapp für die Zuschrift und teilte mit, dass er einen Ethikunterricht dem konfessionsgebundenen Unterricht vorziehe.

Auch die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke wandte sich gegen die Einführung eines verpflichtenden Islamunterrichts. Auch wenn die Forderung für sie „im Sinne der grund­gesetzlich gebotenen Gleichbehand-
­lung der verschiedenen Glaubensge­meinschaften“ nachvollziehbar erscheint, sei ihr die Trennung von Schule und Kirche wichtiger. Ein Fach wie Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) könne Kinder über Religionen, Weltanschauungen und Philosophie aufklären. Eine klare Position bezog Jelpke gegenüber den konservativen Islamverbänden. Die viele der Organisationen „eine reaktionäre politische Agenda“ verfolgen, sei es falsch, ihnen den Körperschaftsstatus anzutragen.

Das Antwortschreiben von Chris­tine Buchholz bestätigte die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe weitest­gehend. In ihrem Brief ist durchgehend von Religions-, teilweise auch Weltanschauungsgemeinschaften die 
Rede, an keiner Stelle aber von In­dividuen. Die individuelle Religions­freiheit spielt in ihren Überlegungen keine Rolle (hier trifft sich ihre Position mit den gesellschaftlichen Vorstellungen der religiösen Rechten). Sie betont, dass im Bundestagswahlprogramm der Linken die „rechtliche Gleichstel­lung aller Religions- und Weltanschau­ungsgemeinschaften“ angestrebt wird, und suggeriert, dass sich daraus zwingend ergebe, dass diejenigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die den Körperschaftsstatus bislang noch nicht haben, damit ausgestattet werden müssten. Auf die vom IBKA vorgetragene inhaltliche Kritik an einer solchen rückwärtsgewandten Politik geht sie nicht ein. Am Ende bekennt sie sich offen zu ihrer Zusammenarbeit mit Vertretern reaktionärer Organisationen.

Die Antworten verdeutlichen: In Partei und Fraktion gibt es zu den vom IBKA aufgeworfenen Fragen unter-
schiedliche Positionen. IBKA-Geschäfts­führer Rainer Ponitka rechnet damit, dass noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist. Denn die „Antworten der Abgeordneten der Linken könnten kaum unterschiedlicher ausfallen. Dadurch wird klar, dass in der Fraktion keine einheitliche Meinung zum Thema ‘emanzipatorische Religionspolitik’ vorherrscht. Ich sehe das als Motivation für den IBKA, seinen säkularen Ansatz auch weiterhin bei Mandatsträgern vorzutragen und dort aufklärend zu wirken.“