Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 2/14 | Geschrieben von Frank Welker

Ein Autor von Sinnen

Akif Pirinçci und die Islamkritik

Der in Istanbul geborene Akif Pirinçci wurde 1989 mit seinem Katzenkrimi Felidae berühmt, der es auch als Zeichentrickfilm auf die Kinoleinwand schaffte. In den letzten Jahren war es allerdings deutlich ruhiger um den Erfolgsautor geworden. Mit seiner Streit­schrift Deutschland von Sinnen, seinem ersten Sachbuch, feiert er nun ein Comeback als Heilsgestalt einer nach rechts rückenden Mittelschicht.

Fantasierter Völkermord

„Das Schlachten hat begonnen“, mit dieser Überschrift begann für den Verfasser der Felidae-Katzenkrimis eine wohl einzigartige „Erfolgsgeschichte“. Was auf den ersten Blick noch nach dem Titel eines neuen Krimis aussah, hatte einen ganz anderen Inhalt. In Pirinçcis Beitrag, der auf der unter anderem von Henryk M. Broder betriebenen Plattform Die Achse des Guten erschien, ging es nämlich keineswegs um kriminalistisch begabte Vierbeiner, die einem Mörder hinterherjagen, sondern um einen „schleichenden Genozid“, den Pirinçci glaubt entdeckt zu haben. Nämlich den von Muslimen an der deutschen Mehrheit. Der eigentlich durchaus nicht unbegabte, sprachgewandte und einfühlsame Krimiautor schreibt in einem atemberaubend geifernden Tonfall bezugnehmend auf einen zu Tode geprügelten Deutschen, der lediglich in einem Streit vermitteln wollte: „Die Tat reiht sich ein in eine Serie von immer mehr und in immer kürzeren Abständen erfolgenden Bestialitäten, die zumeist von jungen Männern moslemischen Glaubens an deutschen Männern begangen werden. (Es befinden sich unter den Opfern nie Frauen. Die werden in der Regel vergewaltigt, was auch banal evolutionär zu erklären ist, aber dazu später.) … Das Muster ist immer gleich. Eine Gruppe oder die herbeitelefonierte Kumpelschaar umstellt das Opfer nach der Jagdstrategie von Wölfen, wobei die Delta- und Betatiere stets außen herum laufen und für das einschüchternde Jagdgeheul sorgen und das Alphatier nach und nach von der Beute Stücke abzubeißen beginnt, bis am Ende alle über sie herfallen und hinrichten. Die Zahl der solcherlei Weise ermordeten Deutschen wird von offiziellen Stellen bewußt geheimgehalten, es ist aber wohl nicht übertrieben, wenn man taxiert, daß es sich um die Opferanzahl eines veritablen Bürgerkrieges handelt.“

Man mag es kaum glauben, aber Pirinçci spricht hier also tatsächlich von einer „Opferanzahl eines veritablen Bürgerkriegs“, kann aber als Beleg nur den bereits erwähnten Einzelfall präsentieren. Aber eine Erklärung für seine ausgesprochen dünne Datenlage hat er dennoch parat, die Opferzahlen werden eben von den offiziellen Stellen geheim gehalten. Und nur er, Pirinçci, der Allwissende hat offenbar den Durchblick. Nun mag man ihm noch zu Gute halten, dass es kriminologische Studien und Kriminalitätsstatistiken gibt, die tatsächlich bei muslimischen Jugendlichen eine höhere Kriminalitätsrate ausweisen. Darüber muss auch zweifellos diskutiert werden. Aber kann dies rechtfertigen, einen Völkermord an die Wand zu malen? Wohl kaum.
Pirinçcis an Volksverhetzung grenzende Thesen jedenfalls machten im
Netz in atemberaubender Geschwindig­keit und Intensität die Runde. Zehn­tausendfach wurde der Beitrag verbreitet und traf auf Zustimmung und das wohlgemerkt nicht nur im rechten Lager. Mit seinem Buch Deutschland von Sinnen legt Pirinçci nun nach. Er wettert darin gegen Homosexuelle, gegen Gendermainstreaming, gegen die öffentlich-rechtlichen Medien, gegen Grüne, gegen Linke, gegen die angeblich links-grün versiffte Presse, ja gegen fast alles und jeden. Aber ganz besonders wendet er sich gegen Muslime und gegen Einwanderer.

Pirinçci und der Islam

Wenn man vom Islam bzw. den Muslimen spricht oder über ihn schreibt, empfiehlt es sich zunächst zu erläutern, wen oder was man konkret meint. Denn der Islam ist noch heterogener als das Christentum und es gibt auch keine Figur wie den Papst, an der man die Kritik festmachen könnte. Die Definition, die Pirinçci anbietet, ist hier allerdings nicht wirklich hilfreich. Er schreibt: „Wenn ich hier von Muslims spreche, so meine ich damit diejenigen, die den Islam auch tatsächlich praktizieren, demonstrativ in die Öffentlichkeit tragen und sich in seinem Namen eine menschen-, insbesondere menschenverachtende Sonderstellung erdreisten.“ Was er hier beschreibt subsumiert man eigentlich unter dem Begriff Islamist. Warum also das Beharren auf der Bezeichnung „Muslims“, die dann auch im Buch konsequent so benutzt wird? Für mich jedenfalls wirken diese und andere vergleichbaren Stellen wie nachträglich eingefügt, möglicherweise um Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Bemerkenswert ist auch, dass Pirinçci die Frauenverachtung des Islams kritisiert ansonsten aber selbst Frauen im Buch herabwürdigt.

Wenn also nun mit seiner Definition von Muslimen nichts anzufangen ist, vielleicht kann das Buch aber dennoch einen Beitrag zur Islamdebatte leisten. Aber auch hier hat der Katzenfreund nicht viel zu bieten. Im Grunde greift er nur einige der durch die Sarrazindebatte bereits hinlänglich bekannten Argumente auf, serviert diese aber in einem Tonfall, die einem Sarrazin sicher die Schamröte ins Gesicht treiben würde. So erfahren wir u.a., dass die Amerikaner den „größeren Schwanz“ hätten, weil sie den Irakkrieg so schnell gegen die Muslime gewonnen haben, dass die Deutschen sich die Mörder ihrer Kinder (gemeint sind Muslime) schönreden würden, dass die Islam-Ideologie die Intelligenz hemmt, dass die Ausländer uns die Frauen wegnehmen und so weiter und so fort. Selbstredend wird auch wieder die These vom Genozid an Deutschen in epischer Breite zelebriert. Nicht wenige seiner Schilderungen und Thesen könnten so auch einem rechtsradikalen Blatt entnommen sein. Und genau wie die Rechten hat auch Pirinçci kaum Belege für seine mitunter abenteuerlichen Behauptungen. Wo Sarrazin um einen sachlichen Ton bemüht war und seine Quellen offenlegte, vermisst man bei Pirinçci beides.

Zudem verstrickt er sich in wirklich peinliche Widersprüche. So stellt er durchaus zutreffend fest, dass islamische Länder in Sachen Wirtschaftskraft noch Nachholbedarf haben. Dass er 
dann allerdings ausgerechnet Norwe­gen als positives westliches Beispiel nimmt, ist nicht ohne Komik. Handelt es sich doch bei Norwegen genau um jenes Land, dass Pirinçcis paläoliberalen Thesen in Sachen Wirtschaftspolitik und Steuergesetzgebung, die er im Buch vertritt, widerlegt. So hat Norwegen im Vergleich zu Deutschland atemberaubend hohe Steuersätze, eine höhere Staatsquote und unterhält noch immer einen Wohlfahrtstaat, der diesen Namen auch verdient.

Aber mit solchen Details gibt sich der radikalkapitalistische Ideologe, der den Staat auf seine Nachtwächterfunktion beschränken würde, nicht gern ab. Lieber schimpft er pauschalisierend auf Politiker und vor allem auf die Grünen, die er mit Vorliebe die Kindersexpartei nennt. Genauso undifferenziert sind auch seine Ausführungen zur angeblichen Ausplünderung des Sozialstaats durch Migranten. Das folgende Zitat spricht für sich und muss nicht näher kommentiert werden: „Er [gemeint ist der Islam] wird sich diesen Staat zur Beute machen, der bereits durch den Selbsthass vieler seiner Bürger auf die eigene Volkszugehörigkeit geschwächt ist und bis an die Grenze einer Groteske mit Sozialleistungen wie mit Karnevallskamellen um sich schmeißt. Gerade ist es wieder einmal ein Tsunami an Zigeunern und Scheinasylanten, die an seinen Geldzitzen saugen. Doch der Islam wird es am Ende sein, der den Sozialstaat in Allahs Hölle befördert.“

Eine notwendige Diskussion

Muss man sich mit diesem Irrsinn also wirklich auseinandersetzen? Meine Antwort lautet: Ja, leider! Das Buch ging inzwischen über 200.000 mal über die Ladentheke und ein solcher Erfolg ist nur dadurch zu erklären, dass Pirinçci offensichtlich Dinge anspricht, die viele Menschen auch aus der Mitte der Gesellschaft bewegen. Denn eines muss man dem Autor zubilligen und es wäre falsch, dieses nicht zuzugeben: Es ist zutreffend, dass die Integrationsprobleme, die viele Muslime haben, immer offensichtlicher werden. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass viele soziologische Studien, nicht selten aus methodischen Mängeln, zu falschen positiven Ergebnissen kommen.

Tatsächlich ist für jeden sich in der Realität bewegenden Bürger offensichtlich, dass die Zahl vor allem junger Kopftuchträgerinnen steigt, dass pöbelnde und gewaltbereite muslimische junge Männer in Großstädten keine Einzelfälle sind, dass religiöse Konflikte an Schulen und in der Gesellschaft zunehmen und radikalislamische Gruppen
immer mehr Zulauf bekommen. So
musste vor einigen Wochen in Frankfurt ein Jugendclub vorübergehend geschlossen werden, weil eine Pädagogin nach Ansicht einiger junger Islamisten zu freizügig gekleidet war. In einem Berliner Schwimmbad soll ein Imam muslimische Jugendliche besänftigen und im syrischen Bürgerkrieg kämpfen inzwischen dreihundert deutsche Fanatiker.

Die Politik wäre also gefragt zu handeln. Doch sie agiert entweder hilflos oder sogar kontraproduktiv. Über die Parteigrenzen hinweg ist es derzeit Konsens, dass man ausgerechnet das Gespräch mit den konservativen Islamverbänden wie der DITIB oder dem Zentralrat der Muslime sucht, in der irrigen Annahme, damit ließen sich die Probleme in den Griff kriegen. Liberale Muslime oder gar säkulare Menschen aus muslimisch geprägten Ländern bleiben dagegen außen vor. Stattdessen entstehen jetzt im Land überall staatlich geförderte Moscheen sowie islamische Kindergärten und Schulen. Zudem wird derzeit flächendeckend der Islamunterricht eingeführt. Der konservativen Ahmadiyya Gemeinde wurde sogar letztes Jahr der Körperschaftsstatus zuerkannt. Vizekanzler Gabriel forderte jüngst sogar, dass mehr Muslime (nicht etwa Migranten gleich welcher Religion!) in den Staatsdienst sollen und die SPD in Rheinland-Pfalz weist ihre Lehrer an, während des Ramadan besondere Rücksicht auf muslimische Kinder zu nehmen. Die von den Kirchen bekannten Privilegien werden derzeit vollumfänglich auf die Islamverbände übertragen. Es ist also dringend geboten, dass diese „Integrationspolitik“ thematisiert und kritisch betrachtet wird. Pirinçci sollte bei der notwendigen Debatte jedoch nicht mal einen Platz am Katzentisch haben.