Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 1/17 | Geschrieben von Redaktion MIZ

„Die Reformation hat den Wahnsinn nicht gehemmt“

Karlheinz Deschner zu Luther und seinen Auswirkungen Staat und Kirche

Wie sind die Folgen der Reformation einzuschätzen? War sie das Aufbruchssignal in die Neuzeit? Bereitete sie die Aufklärung und die Emanzipation des Dritten Standes, der Frauen, der Minderheiten vor? Und welche Rolle spielte Luther bei den Auseinandersetzungen und Debatten des 16. Jahrhunderts? Die MIZ-Redaktion hat dazu das Werk eines Historikers befragt, der sich sehr ausführlich mit Kirche und Christentum beschäftigt hat: Karlheinz Deschner.

Die Reformation hat den Wahnsinn nicht gehemmt.

Die Reformation hat den Wahnsinn nicht gehemmt.

Die Reformation hat den Wahnsinn nicht gehemmt.

Die Reformation hat den Wahnsinn nicht gehemmt.

Die Reformation hat den Wahnsinn nicht gehemmt.
Die Reformation hat den Wahnsinn nicht gehemmt.

Die Reformation hat den Wahnsinn nicht gehemmt. Im Gegenteil. Wie die Reformierten in Holland schließlich barbarisch die Katholiken dezimierten, wie sie deren Kirchen und Klöster plünderten, niederrissen, die Kruzifixe und Heiligenbilder samt Priestern, Mönchen ins Feuer warfen, wie lutherische Landsknechte 1527 in Rom Tausende von Päpstlichen erschlugen und selbst in der Peterskirche 200 massakrierten, worauf sie durch ungeheuerliche Brandschatzungen oder, wie die Lutheraner selber glauben, „die Gnad Gottes reich worden [sein], davon nicht genugsam zu beschreiben ist“ – so töteten sie nun auch die Hexen. Luther, der überall den Satan sah, war mit der Einäscherung der „Teufelshuren“ genauso einverstanden wie der Papst oder, wie er sagt, die „Papstsau“, der er freilich ebenfalls, gleich allen Kurialen, die Zunge hinten zum Hals herausreißen und sie so der Rangordnung nach an den Galgen nageln wollte. Und Calvin, der seine Kritiker eifrig mit Folter und Schwert zur Ruhe, auch einen Servet auf den Scheiterhaufen brachte, erkannte gern die Verdienste des Genfer Rats im Hexenfangen an, machte darauf aufmerksam, daß es „noch viele andere derartige gebe“ und ersuchte darum, „diese Rasse ... auszurotten“.

Die Reformation änderte auch am christlichen Antisemitismus nichts. Im Gegenteil. Nach einer frühen philosemitischen Phase, in der die von Luther begeisterten Juden den Anbruch der messianischen Zeit verkündeten, empfahl der Reformator in übelsten Pamphleten „scharfe Barmherzigkeit“ und übernahm, beredt, verführerisch, fast alle katholischen Lügen und Greuelmärchen, die Brunnenvergiftung ebenso wie den Ritualmord. Er identifizierte die Juden mit Schweinen, fand sie „schlimmer als eine Sau“, forderte für Ausübung ihres Gottesdienstes die Todesstrafe, verlangte ein Verbot ihrer Schriften, Zerstörung ihrer Häuser, Niederbrennung ihrer Schulen und Synagogen, „daß kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich. Und solches soll man tun unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, daß wir Christen seien“. Noch kurz vor seinem Tod stachelte Luther die Fürsten zur Vertreibung der Juden auf. Doch waren sie damals aus den meisten großen deutschen Städten ohnedies verjagt.

Auch Krieg ist für Luther so nötig wie für Thomas oder Augustin, der mit der zynischen Gelassenheit des selbst kaum Gefährdeten höhnt: „Was hat man denn gegen den Krieg? Etwa daß Menschen, die doch einmal sterben müssen, dabei umkommen?“ Von diesen Teufeln übernimmt Luther die Theorie vom „gerechten Krieg“, heute nur noch als Kabarettnummer (oder Moraltheologie) denkbar, und lehrt: „In solch einem Krieg ist es christlich und ein Werk der Liebe, die Feinde getrost zu würgen, zu rauben, zu brennen und alles zu tun, was schädlich ist, bis man sie überwinde. Ob es nun wohl nicht so scheint, daß Würgen und Rauben ein Werk der Liebe ist, weshalb ein Einfältiger [!] denkt, es sei kein christliches Werk und zieme nicht einem Christen zu tun: so ist es doch in Wahrheit auch ein Werk der Liebe.“ Deshalb empfiehlt und befiehlt Luther dem ausrückenden Christen, nicht lange zu fackeln, das Credo, das Vaterunser zu sprechen „und lasse damit genug sein ... und zeuch dann vom Leder und schlage drein in Gottes Namen“. Wie die Papstkirche, ließ Luther die Armen im Stich, verriet er die Sache der leibeigenen Bauern, machte er aus der Reformation nur einen neuen Vorteil der Fürsten, ein neues Mittel der Despotie, weshalb schon Thomas Münzer gegen den „Leisetreter“, „das sanftlebende Fleisch“, das Wittenberger „Mastschwein“ seine flammenden Proteste schleudert und alles Recht für sich hat, wenn er schreibt: „Die Grundsuppe der Dieberei sind unsere Fürsten und Herren, nehmen alle Creaturen zu ihrem Eigenthum, die Fisch im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden muß alles ihre seyn. Aber den Armen sagen sie: Gott hat geboten, du sollst nicht stehlen. Sie selber schinden und schaben alles, was da lebt; so aber ein Armer sich vergreift am Allergeringsten, muß er henken. Dazu sagt denn der Doctor Lügner Amen.“

Es gab Fürsten, die friedlich, verhandlungsbereit waren, die lange zögerten, ihre Vereinbarungen mit den Bauern zu brechen, wie Kurfürst Ludwig von der Pfalz, ja, die den Aufruhr als gerechte göttliche Strafe empfanden und ihn „in der Güte“ stillen wollten, wie Kurfürst Friedrich der Weise und sein Bruder Herzog Johann. Doch die Bischöfe und Martin Luther wieder – denn „Was ist unbarmherziger“, sagt Paracelsus, „armen Leuten als die Geistlichkeit?“ – bearbeiteten sie unermüdlich, stachelten sie auf, mit dem Reformator zu sprechen, „flugs zum Schwerte zu greifen“, „mit gutem Gewissen“ (das der Klerus den Mördern in allen Kriegen läßt) dreinzuschlagen, „den Himmel mit Blutvergießen“ zu verdienen (auch ein beliebtes christliches Motiv), „zu würgen, zu stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muß“. „Steche, schlage, würge sie, wer da kann“, hetzt Luther ein anderes Mal, beinah päpstlicher als der Papst, „bleibst du darüber tot, wohl dir; seligeren Tod kannst du nimmermehr überkommen, denn du stirbst im Gehorsam des göttlichen Wortes.“(...) Selbst Luther fand das Bauernschinden schließlich „greulich“ und „erbärmlich“. – „Aber was soll man tun? Es ist nötig, und Gott will’s auch haben.“

Auch Luther, der zwar das Zölibat abschaffte, die Nonnen aus den Klöstern holte, nannte den Mann doch „höher und besser“, die Frau dagegen „ein halbes Kind“, „ein Toll Thier“; „die größte Ehre, die es hat, ist, daß wir allzumal durch die Weiber geboren werden“ und dergleichen Schmeichelhaftes mehr.

Erlaubt hat die Kirche den ehelichen Umgang nur: erstens um den möglicherweise lustvolleren außerehelichen zu verhindern. „Drumb“, sagt Luther, auch den katholischen Standpunkt plastisch mitformulierend, „hat das Meidlein ihr Punzlein, daß es ihm [dem Mann] ein Heilmittel bringe, damit Pollutionen und Ehebrüche vermieden werden.“ Zweitens brauchte man die Ehe um des eigenen Nachwuchses willen. „Ob sie sich aber auch müde und zuletzt todt tragen“, wie Luther wieder schön offenherzig schreibt, „das schadet nichts, laß sie nur todt tragen, sie sind darum da.“

Der Klerus propagiert und will das Opfer, den Verzicht. Doch er rechnet mit der „Schwachheit“ der menschlichen Natur, die er scheinheilig beklagt, während sie in Wahrheit sein größtes Glück ist, die Grundlage seiner Existenz. Luther, oft noch der aufrichtigste seiner Zunft, hat dies offen formuliert: „Sei ein Sünder und sündige wacker, aber vertraue und freue dich in Christus.“ Und womöglich noch prägnanter: „Die rechten Heiligen Christi müssen gute, starke Sünder sein und solche Heilige bleiben.“

Und Luther reformierte in der allein entscheidenden Sicht bekanntlich noch päpstlicher als der Papst, ließ eher noch mehr Hexen verbrennen, wurde ein noch viel wütenderer Antisemit (auf den Streicher in Nürnberg sich mit Recht berief!), forderte im Hinblick auf die Juden: „Daß man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke ... Daß man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre ... Daß man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein und Talmudisten ... Daß man ihnen verbiete, bei uns öffentlich Gott zu loben, zu danken, zu beten, zu lehren, bei Verlust Leibes und Lebens“, und rief auch den Adel auf, die ausgebeuteten Bauern „zu würgen, zu stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muß“; ein Reformator so großen Stils, daß er selbst gestand: „Prediger sind die größten Totschläger ... Ich, M. Luther, hab im Aufruhr alle Bauern erschlagen, denn ich hab sie heißen totschlagen; alle ihr Blut ist auf meinem Hals. Aber ich weise es auf unsern Herrn und Gott, der hat mir das zu reden befohlen.“