Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 1/18 | Geschrieben von Daniela Wakonigg

Koalitionsvertrag ohne Konfessionslose

CDU, CSU und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag auf die inhaltlichen Eckpunkte einer Fortsetzung der Großen Koalition geeinigt. Der Vertrag gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass demnächst die Interessen nicht-religiöser Menschen in der Politik Beachtung finden werden.

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 7. Februar 2018 trägt die Überschrift „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Was auch immer man über die sonstigen Inhalte des Vertrags denken mag, in einer Hinsicht kann von „Neuerungen“ definitiv keine Rede sein: Konfessionslose, die inzwischen gut ein Drittel der Gesamtbevölkerung in Deutschland bilden und deren Zahl seit Jahrzehnten unvermindert wächst, existieren im Denken der GroKo-Koalitionäre auch weiterhin nicht. In dem 179 Seiten starken Koalitionsvertrag tauchen Begriffe wie „Konfessionslose“, „Nicht-Religiöse“ etc. schlicht nicht auf. Dafür ist von Kirchen und Religionsgemeinschaften umso intensiver die Rede:

„Die Koalitionsparteien würdigen das Wirken der Kirchen und Religions­gemeinschaften. Sie sind wichtiger Teil unserer Zivilgesellschaft und Partner des Staates. Auf Basis der christlichen Prägung unseres Landes setzen wir uns für ein gleichberechtigtes gesellschaftliches Miteinander in Vielfalt ein. Wir suchen das Gespräch mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften und ermutigen sie zum interreligiösen Dialog, denn das Wissen über Religionen, Kulturen und gemeinsame Werte ist Voraussetzung für ein friedliches Miteinander und gegenseitigen Respekt.“ (Zeilen 7843 ff.)

Kirchen, Religions- und Weltan­schauungsgemeinschaften werden im Koalitionsvertrag nicht nur als „wichtige Stützen im Bildungs- und Sozialwesen mit Kindertageseinrichtungen und Schulen, mit Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen“ betrachtet, sondern vor allem als Stifter von Identität und Werten verstanden, die „einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft in Deutschland und Europa“ leisten (Zeilen 5592 ff.). Aus diesem Grund wollen CDU, CSU und SPD „den Dialog und die Zusammenarbeit des Staates mit den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verstärken. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die Integration der Muslime in Deutschland.“ (Zeilen 5598 ff.)

Die zentrale Rolle, die die Religion im Denken der Koalitionäre einnimmt, zeigt sich auch darin, dass das Amt eines Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit geschaffen werden soll:
„Freiheit ist ein zentrales Men­schenrecht, das weltweit zunehmend eingeschränkt oder komplett infrage gestellt wird. Das gilt für zahlreiche religiöse Minderheiten weltweit. Unsere Solidarität gilt allen benachteiligten religiösen Minderheiten. Dazu zählt der beharrliche Einsatz für viele Millionen verfolgter Christinnen und Christen. Wir werden das Amt der/des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit schaffen. Wir werden den Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit im zweijährigen Rhythmus und systematischen Länderansatz fortschreiben.“ (Zeilen 7406 ff.)

Von den säkularen Organisationen in Deutschland wird der Koalitionsvertrag unterschiedlich aufgenommen.
Rainer Ponitka, Geschäftsführer des 
Internationalen Bundes der Konfes­sionslosen und Atheisten (IBKA) e.V., der für eine konsequente Trennung von Staat und Kirche sowie für den Abbau kirchlicher Privilegien steht, vermisst im Koalitionsvertrag den nicht-religiösen Bevölkerungsanteil – sowohl in Deutschland als auch weltweit. „Es handelt sich um eine zahlenmäßig relevante und große Gruppe, deren politische Bedeutung hier wieder einmal ignoriert wird“, so Ponitka. „Stattdessen scheint das Ganze eine Fortsetzung der Bemühung zu sein, die bestehende Pastoraldemokratie zu zementieren statt die Zunahme der Konfessionslosen zur Kenntnis zu nehmen und Kirchenprivilegien abzubauen. Für mich ist das kein ‘Aufbruch’ – wie der Titel des Vertrages suggeriert – sondern das Bewahren von Strukturen, die sich überlebt haben.“

Die Ignoranz gegenüber Nicht-Religiösen auf weltweiter Ebene zeigt 
sich laut Ponitka unter anderem darin, dass das Recht auf negative Reli­gionsfreiheit nicht mal erwähnt sei und stattdessen besonders verfolgte Christinnen und Christen im Text hervorgehoben würden. „Was ist mit verfolgten Atheisten, die aufgrund ihres Nicht-Glaubens in etlichen Ländern der Welt an Leib und Leben bedroht sind? Ich bin bestürzt, dass diese Menschen und deren Schicksale es noch nicht in das Bewusstsein der Koalitionäre geschafft haben.“
Dass ausgerechnet Kirchen- und Religionsgemeinschaften eine positive Rolle in Bezug auf ein friedliches Miteinander und die Integration von Muslimen zugeschrieben wird, betrachtet Ponitka als höchst problematisch: „Um am täglichen Leben teilzuhaben, sind für in Deutschland lebende Migranten zuallererst die Sprache und die Grundsätze des demokratischen und sozialen Miteinanders zu vermitteln. Religiöse Normen widersprechen in großen Teilen den Werten der modernen Gesellschaft, und wenn religiösen Verfügungen höheres Gewicht als den weltlichen Gesetzen beigemessen wird, so schafft dies Parallelgesellschaften und bewirkt keine Integration.“

Doch es gibt innerhalb des Spek­trums säkularer Organisationen in Deutschland auch andere Einschät­zungen des Koalitions­vertrags. Nämlich unter jenen, die sich selbst als nicht-religiöse Weltanschauungsgemeinschaften betrachten und von der im Vertrag ausgedrückten Anerkennung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu profitieren hoffen – so wie der Humanistische Verband Deutschlands HVD Bayern. Dessen Vorstand Michael Bauer zeigt sich erfreut darüber, „dass die neue Regierung die wichtige Rolle von Weltanschauungsgemeinschaften in der Gesellschaft ausdrücklich hervorgehoben hat“. Lediglich in Hinblick auf die Ausgestaltung des neuen Amtes eines Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit gibt Bauer zu bedenken, dass hierbei auch die negative Religionsfreiheit einbezogen werden müsse.

Für Helmut Fink, den Vorsitzenden des Koordinierungsrates säkularer Organisationen (KORSO) in Deutsch­land, greift eine einseitig positive Sicht auf den Koalitionsvertrag jedoch zu kurz: „Wer damit zufrieden ist, hat die spezifischen Interessen der Konfessionsfreien nicht verstanden.“
Zwar sei in der Tat positiv hervorzu­heben, dass im Vertrag neben Kirchen 
und Religionsgemeinschaften ausdrück-
lich auch Weltanschauungsgemein­schaften als identitäts- und wertestiftend genannt würden, was nicht-religiöse Identitäten einschließe, aus dem Vertragstext als ganzem spreche jedoch „eine proreligiöse Befindlichkeit, die zunehmend unzeitgemäß wird“. „Man merkt, dass die Spitzenpolitiker uns Säkulare nicht so richtig auf dem Schirm haben“, so Fink.

In einer Pressemitteilung des KORSO zum Koalitionsvertrag heißt es:
„Viele klassische Forderungen der 
organisierten Säkularen spielen im jetzigen Vertragstext überhaupt keine Rolle: So wird weder das Ver­fas­sungsgebot zur Ablösung der historischen Staatsleistungen, das 2019 seit einem Jahrhundert besteht und 
damit selbst schon historisch ist, noch die Frage des staatlichen Kirchen­steuer-
einzugs oder des kirchlichen Arbeits­rechts angesprochen. Auch die Sicht­barkeit staatlicher Säkularität durch Entfernen religiöser Symbole und symbolhafter Formulierungen, etwa in 
Verfassungspräambeln und Schulge­setzen, ist im Koalitionsvertrag erwartungsgemäß kein Thema. Inte­grativer Ethikunterricht, religionsfreie Fest- und Feierkultur oder auch die Medienpräsenz der Säkularen ist den Wunschkoalitionären keine Zeile wert, von einer Abschaffung der Strafrechtsparagraphen 166 oder 217 ganz zu schweigen. (…) Es gehört zu den Aufgaben des KORSO, die gemeinsamen Ziele seiner Mitgliedsorganisationen an die Politik heranzutragen. Hierbei besteht noch ein großer und grundlegender Bedarf, der sich keineswegs nur auf künftige Regierungsparteien beschränkt.“

„Ich bin grundsätzlich bereit, mit allen im Bundestag vertretenen Parteien Hintergrund- und Lobbygespräche zu führen, um die volle Gleichbehandlung der Nichtreligiösen mit den Religiösen in unserem gemeinsamen säkularen Staat voranzubringen“, so der KORSO-Vorsitzende Helmut Fink.

Der Artikel erschien ursprünglich im Huma­nistischen Pressedienst (hpd.de) und wurde für MIZ leicht überarbeitet.