Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 1/12 | Geschrieben von Corinna Gekeler

Christlich-loyaler Lebenswandel als dienstliche Vorschrift

Eine Studie soll die „Loyalitätsobliegenheiten“ von Dienstnehmern in kirchlichen Einrichtungen untersuchen

Ein Kindergarten stellt nur Kirchenmitglieder ein, einer Krankenschwester wird nach der Scheidung gekündigt, gleiches passiert einem Kirchenmusiker wegen einem unehelichen Kind, einem Arzt wegen Wiederverheiratung und einer Lehrerin, weil sie ihre Lebenspartnerschaft verheimlicht hatte. Eine Studie soll untersuchen, wie diskriminierend sich das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen bzw. Religionsgesellschaften auf den deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarkt auswirkt und worauf die Rechtslage eigentlich basiert.

Hierfür werden Gesprächspartnerinnen und -partner mit Erfahrungen aus dem beruflichen Alltag und aus juristischen, politischen, gewerkschaftlichen, kirchlichen und humanistischen Zusammenhängen gesucht.

Dienen statt Arbeiten

Scheidung, Kirchenaustritt, Wieder­verheiratung, Homosexualität, uneheliche Kinder und ähnliche Privat­angelegenheiten sind Kündigungs­gründe und Konfessionslose oder Andersgläubige dürfen von Bewer­bungen ausgeschlossen werden. Dies ist Alltag für Millionen Arbeitnehmer und Auszubildende in deutschen Gesundheits-, Pflege-, Sozial- und Bildungseinrichtungen. Hinzu kommt, dass es weder für sie noch für die Nutzer der Angebote überall ausreichend Alternativen gibt, da kirchliche Träger in einigen Gebieten eine Mono­polstellung haben.

In den evangelischen und katholischen Dienstgemeinschaften kollidiert das Grundrecht auf Nichteinmischung in religiöse Angelegenheiten mit den Grundrechten auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Freiheit der Berufswahl und Schutz vor Diskriminierung. Inwiefern die Situation von einer konsequenten Trennung von Kirche und Staat zeugt oder kirchliche Dienstgeber ein zu großes und ungerechtfertigtes Maß an Tendenzschutz genießen, soll die Studie untersuchen.

Unterschiedliche Perspektiven und Fragestellungen

Um möglichst praxisnahe und facettenreiche Einblicke zu erhalten, sollen Kritiker und Befürworter aus Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Interessenverbänden und juristischen Fachkreisen sowie Betroffene zu Wort kommen.

Mit ihnen wird unter anderem der Frage nachgegangen, welchen eventuellen Mehrwert die Regelungen für die betroffenen Dienstnehmer/innen be­ziehungsweise die Nutzer/innen der Angebote, also die Klient(inn)en, Schü­ler/innen usw. haben. Man wird also auch erfahren, welche Einschränkungen gerne hingenommen beziehungsweise nicht als solche erfahren werden, wenn man einen Arbeitsplatz in einer Wertegemeinschaft bewusst wählt und schätzt. Gleiches gilt sicher auch für manche Eltern, die es schätzen, dass ihre Kinder nur von Gleichgläubigen unterrichtet werden und ihr Arzt zum selben Gott betet. Außerdem stehen kirchlichen Einrichtungen viele Ehren­amtliche und somit ein großes Plus zur Verfügung. Aber auch zum Beispiel die Arbeiterwohlfahrt wird Aufmerksam­keit bekommen, denn sie bietet Ähn­liches – aber diskriminierungsfrei?

Thematisiert wird auch die Rechtsunsicherheit durch die unterschiedliche lokale und branchenabhängige Auslegung und wechselhafte Handhabung der Sonderrechte. So kann zum Beispiel ein offen schwuler Pfleger morgen entlassen werden oder sich nicht in eine Klinik in einem anderen Bezirk versetzen lassen.

Deutschland legt Vorgaben der EU kirchenfreundlich aus

Eine der gesetzlichen Grundlagen für die Loyalitätspflichten ist § 9 des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) aus dem Jahr 2006. Die deutsche Auslegung der EU-Richtlinie (2000/78/EG) ist einigen europäischen und deutschen Gerichten, Politikern und Verbänden jedoch zu kirchenfreund­lich. In einem Vertragsverletzungsverfahren brachte die EU 2008 zum Ausdruck, es sei „richtlinienwidrig, eine bestimmte berufliche Anforderung allein aufgrund ihres [der Religionsgemeinschaften, C.G.] Selbstbestimmungsrechts festzulegen, ohne dass dies im Bezug auf die konkrete Tätigkeit auch einer Verhältnis­mäßigkeitsprüfung unterworfen ist.“ Als Reaktion wurde nicht etwa die Regelung nur auf sogenannte verkündigende Tätigkeiten eingeengt, sondern es genügt der europäischen Kommission eine mehr als vage Zusage der damaligen Bundesjustizministerin Zypries. Darin versprach diese eine „richtlinienkonforme Auslegung“, was sich aufgrund der Unabhängigkeit deutscher Gerichte nicht auf konkrete Rechtsverfahren auswirken kann, sondern als mäßigende Reaktionen auf Forderungen der Kirchen beschränken muss. Welchen Stellenwert die richtlinienkonforme Auslegung der „Kirchenklausel“ in der Rechtspraxis hat, wird die Studie versuchen zu klären.

Auch das deutsche Betriebsverfas­sungsgesetz bietet Kirchen und ihren
Einrichtungen weitreichende Befug­nisse, Privatangelegenheiten ihrer (potenziellen) Mitarbeiter/innen mit arbeitsrechtlichen Sanktionen zu ahnden. So genießen Kirchen nicht nur die Freiräume des Tendenzschutzes nach § 118 BetrVG, der es Gewerkschaften, politische Interessenverbände usw. erlaubt, von ihren Angestellten die jeweils nötige Loyalität zu fordern.

In Absatz 2 des §118 steht, dass das gesamte Betriebsverfassungsgesetz „keine Anwendung auf Religionsgemein­schaften und ihre karitativen und er­zieherischen Einrichtungen unbescha­det deren Rechtsform“ findet. Mit allen Folgen: Loyalitätspflichten, stark
eingeschränktes Tarif- und Mitbe­stimmungsrecht und kein Streikrecht.

Hingegen wird Tendenzschutz in der EU-Richtlinie nur eingeräumt, um „Benachteiligungen von Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten
Behinderung, einem bestimmten Alter oder einer bestimmten sexuellen Ausrichtung zu verhindern oder auszugleichen, und diese Maßnahmen können die Einrichtung und Beibehaltung von Organisationen von Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten
Behinderung, einem bestimmten Alter
oder einer bestimmten sexuellen Aus­richtung zulassen, wenn deren Zweck hauptsächlich darin besteht, die besonderen Bedürfnisse dieser Personen zu fördern.“

Da Krankenhäuser, Kindergärten usw. wohl kaum den Zweck erfüllen können oder sollten, Benachteiligungen von Kirchenmitgliedern auszugleichen und deren besondere Bedürfnisse zu
fördern, dürfte ihnen auch kein Tendenzschutz wie etwa benachteiligten Minderheiten zugestanden werden. Eigentlich.

Wozu trägt die Studie bei?

Der Internationale Bund der Konfes­sionslosen und Atheisten (IBKA) finanziert diese Studie und möchte dadurch die kaum bekannten Kon­sequenzen der Loyalitätsobliegenheiten sichtbarer machen und eine breitere Basis für politisches Engagement erhalten. Auch diesbezügliche Standpunkte (sofern vorhanden) aus Politik, Gewerkschaften, humanistischen Organisationen, Homo­sexuellenverbänden, kirchenkritischen Gruppen und juristischen Experten­kreisen erhielten bislang wenig Auf­merksamkeit – zumal im Vergleich zu Auseinandersetzungen über Streik- und Tarifrecht usw.

Die Studie soll mehrere Funktionen erfüllen, indem sie

► über Praxis, Rechtslage und Kritik aufklärt,
► die Gesetzeslage in Deutschland und in der EU diskutiert,
► die Auswirkungen aufzeigt,
► durch Erfahrungsberichte Identitätsstiftung für Betroffene ermöglicht und
► Grundlagen für politisches Handeln bietet.

Die Zielgruppe der Studie sind zunächst Akteure mit kirchenkritischem Engagement. Das Buch soll aufgrund der doch recht grundsätzlichen Fragen zur Stellung von Kirche in der Gesellschaft ein breiteres Publikum ansprechen. Es wird so verständlich und praxisnah geschrieben werden, dass es über politische, gewerkschaftliche und juristische Fachkreise hinaus auch direkt betroffenen Berufstätigen und Auszubildenden zugänglich sein wird.

Informationen: Gesprächspartner/innen gesucht!

Wer die Studie unterstützen möchte, kann diesen Artikel an potenziell interessante An­sprechpartner/innen weiterleiten oder hier
für bei der Autorin oder beim IBKA den Text des Aufrufs erhalten. Jede Kontaktaufnahme wird verschwiegen behandelt und die unterschiedlichen Einblicke, Erfahrungen, Meinungen und Sachkompetenzen können auf Wunsch selbstverständlich vertraulich und anonym eingebracht werden.

Kontakt über gekeler@gerdia.de